Sonntag, 11. Oktober 2009

Diagnosen

Nun ist sie also Geschichte, die Wettkampfsaison 2009. Nach einigen Wettkämpfen und Erlebnissen, die nicht ganz meiner Idealvorstellung entsprachen konnte ich am 4. Oktober das Jahr auf eine Weise abschliessen, wie ich sie jedem Athleten nur wünschen kann.
Der Ironman Switzerland war zunächst mein Saisonhöhepunkt. Ich trat an in eigentlich guter Form, nur - irgendwie klappte es nicht so ganz. Ich konnte zwar, verglichen mit anderen Rennen, in einigen schwierigen Situationen einen kühlen Kopf bewahren und mich so aufsdrei wirklich ernsthaften Krisen ziehen. Trotzdem war ich am Ende mit meiner Zeit von 9:29 Stunden nur vage zufrieden.
Nicht lange, und ich entschied mich für mehrere Dinge: einerseits gegen einen Start am Uster Triathlon, andererseits für einen Start an der Challenge Barcelona - einer weiteren Langdistanz. Bis anhin hatte ich mir eingeredet, dass ich vorerst mit einer Langdistanz pro Jahr bedient sei. Doch dann dachte ich mir: warum nicht?

Am 1. Oktober fuhr ich in den frühen Morgenstunden mit meiner Mutter los nach Süden - eine Jahreszeit, in der ich für gewöhnlich bereits die Beine hoch hielt. Im Gepäck war mein zwei Tage zuvor wieder funktionstüchtig gemachtes Rennrad (nach Locarno rissen mir ein Brems- und ein Schaltkabel - zum Glück NACH Locarno...) - das Training in den Wochen davor hatte spärlich und hauptsächlich auf dem Mountainbike stattgefunden. Kein Grund zur Panik, sagte ich mir - wenigstens war ich gut ausgeruht.

Nach zwei Tagen im Hotel war es dann am Sonntag Morgen soweit - das letzte und gleichzeitig schwerste Rennen des Jahres stand an. Ich war nervös wie noch vor keinem anderen Wettkampf und fragte mich selbst, warum das so war. Es war ja nicht meine erste Langdistanz. Doch dieses Mal kamen so viele neue Unbekannte Faktoren dazu, dass ich einfach nicht sagen konnte, was auf mich zukommen würde. Zum einen mal das Schwimmen im Meer. Dann die Küstenstrasse an der Costa Maresme, die entgegen meiner Erwartungen alles andere als flach war auf den ersten acht bis zehn Kilometern. Da es ein Kurs mit drei Runden war, würden wir insgesamt sechs mal durch die Hügel gejagt werden. Eine flache Marathonstrecke, Hitzeanfällig wie sonst nichts, für einmal Riegel und Gels von anderen herstellern als Powerbar (ich hatte meine Rationen, aber ob das reichen würde?)... jedes Mal, wenn ich mich selbst beruhigt hatte, kam die nächste Frage auf. Und ehe ich mich versah, stand ich mit etwa 50 anderen Pro-Athleten an der startlinie - ohne vorher im Wasser gewesen zu sein. Das Adrenalin pumpte, der Puls ging hoch - und dann nahm der Tag eine Wendung, mit der niemand gerechnet hatte und welche, wie ich denke, dieses Rennen für die nächsten Jahre im Voraus prägte.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, der Himmel färbte sich langsam rot - vor uns donnerte die Brandung auf den Strand. Wir warteten - als der Speaker eine Schweigeminute ausrief für Andreu Serra, der kurz vor dem Rennen zu Tode gekommen war. In der Wechselzone lagen Blumen vor seinem Radständer.
Von einem Moment auf den anderen war alles still - nur das Rauschen der Wellen war zu hören. Dann wurde klassische Musik gespielt, und Andreu's Trainingspartner warf Blumen ins Meer. Als es dann hiess: "one minute to the start", standen alle völlig still und zutiefst berührt an der Startlinie. Und irgendwie merkte man, dass sich alle verinnerlicht hatten: der Tag wird lange und hart. Kein Grund, sich gleich zu Beginn das Leben schwer zu machen.

Dann ertönte das Startsignal, und wir waren unterwegs.
Nach etwa 1,5 Km merkte ich, dass mein ohnehin schon leicht maroder Neoprenanzug begann, unter den Armen zu scheuern - eine völlig neue Erfahrung im Salzwasser. Ich versuchte das zu ignorieren und konnte nach 53' aus dem Wasser steigen.
Ab ging es auf die Radstrecke, und was soll ich sagen - hier fühlte ich mich zuhause. Dass es ein heisser Tag werden würde war klar. Ich war schon immer in der ersten Reihe dabei wenn es darum ging, das Maul gross aufzureissen. Hitze mache mir nichts aus, da entfalte sich erst meine ganze Leistungsfähigkeit. Nur: Hitze in der Schweiz und Hitze an der Spanischen Küste, das sind zwei Paar Schuhe. Und so hatte ich endlich die Gelegenheit, diese Theorie auch zu beweisen.
Das gelang mir ganz gut - ich fuhr den Radsplit meines Lebens! Die Hitze beflügelte mich und ich schaffte es abermals, ruhig zu bleiben in Situationen, die mich sonst aus der Ruhe gebracht hätten. Ich konnte genug essen und trinken, und zum ersten Mal auf einer Langdistanz hatte ich auch nach über 150 Kilometern noch das Gefühl, nicht überzockt zu haben. Nach 4:56 war für mich der Radsplit zu Ende - ich war fast 20 Minuten schneller als in Zürich, und das auf einer Strecke, die nicht wirklich leichter zu fahren war.

Leider hat alles Schöne irgendwann mal ein Ende, und bei mir war das nach zwei Kilometern auf der Laufstrecke. Ich flog aus dem Wechselzelt und fühlte mich grossartig - meine Beine taten nicht weh, waren nur etwas müde. Doch dann ging es los mit den Schmerzen. Ich hatte neue Schuhe an den Füssen, die ich zuvor zwar eingelaufen hatte - offenbar jedoch nicht genug. Nach vier Kilometern fing mein Magen an zu rebellieren, sodass ich notfallmässig die nächste Chemotoilette aufsuchen musste. (Toilette ist übertrieben - Sauna wäre eine bessere Bezeichnung.) Danach gab mein Bauch zwar Ruhe, doch ich war nicht mehr in der Lage, sauber aufzutreten. 2008 dachte ich, eine harte Zeit auf der Laufstrecke gehabt zu haben - hier, in Spanien, durfte ich feststellen, dass Zürich 2008 eigentlich gar nicht so schlimm war. Ich habe lange und viel an meinem Laufstil gearbeitet. Wenn man dann plötzlich einfach nicht mehr in der Lage ist, wie gewohnt aufzutreten und sich abzustossen, dann wird alles zur Improvisation. Ich fühlte mich etwa so elegant wie eine Ente mit Gehirnerschütterung. Hinzu kam, dass die dortigen Gels von einer Abscheulichkeit waren (Geschmacklich zumindest), dass mir so richtig schlecht wurde und ich nach der dritten Tube kapitulierte. Das ging ziemlich genau bis Kilometer 30 - dann erst wurde es besser. Immerhin - die letzten Kilometer konnte ich geniessen. Ich konnte wieder rennen. Und ich dachte an all das Positive, was ich an diesem Tag bisher erleben durfte. An die gute Stimmung unter den Pro-Athleten, selbst auf der Strecke. An die nahezu perfekte Orgenisation. Das schöne Wetter. Wie gut ich mich auf dem Rad gefühlt hatte. Ich wusste nicht, wie lange ich schon unterwegs war, doch das verlor mehr und mehr an Bedeutung - ich wollte am Ende des Tages sagen können: "mehr war nicht drin". Und das würde mir gelingen!

Als ich auf die Zielgerade einbog und mit den Leuten feiern wollte, sah ich zum ersten Mal die Uhr, und die zeigte 9:29 Stunden und zählend an...
Für den Sprint reichte es noch. Ich würde NICHT nach 9:30 finishen. Also zog ich die letzten Register - und beendete dieses Rennen in 9:29:38 Stunden.

Natürlich: ich wollte die 9-Stunden-Grenze durchbrechen. Als ich vom Rad stieg und loslief, fühlte ich mich auch, als ob es klappen könnte. Dass dann der Marathon solch eine Tortur wurde - das war ein Fehler meinerseits (die Schuhe) und eine gute Portion Schicksal. Doch es beruhigt mich auch irgendwie. Ich bin zurück! Das Rennen war schneller, das Laufen viel härter als im letzten Jahr - und abermals blieb ich unter 9:30 Stunden. Und nächstes Jahr... da ist alles offen!

Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich in Spanien unterstützt haben. Auf der Strecke ist man als Athlet zwar alleine, doch keiner bringt seine Leistung, wenn er nicht Menschen im Rücken hat, die ihn unterstützen, an ihn glauben und ihn durch die harten Passagen tragen. Danke!

Mein besonderer Dank und Respekt geht an den Trainingspartner von Andreu Serra, dessen Namen leider niemand auf dem Platz wusste. Er hat sein ganzes Rennen seinem Freund gewidmet. Er trug Blumen über die Ziellinie und ehrte damit seinen Partner auf eine Weise, vor der wir uns nur verneigen können. Diese erste Challenge Barcelona wurde von diesen beiden Triathleten geprägt, und soweit es mich betrifft - dies wird das Rennen von Andreu Serra bleiben.

Herzlichst,

Fabian