Mittwoch, 16. Juli 2008

Jitterbuck und Aquaplaning - ein Rennbericht

Triathleten sind das bescheidenste Völkchen der Welt. Folgende Situation: der Ironman, bei den meisten also absoluter Saisonhöhepunkt, steht vor der Tür. Monatelanges Training, Entbehrungen (z.B. kein Kaffee...) und Investitionen, und endlich, endlich ist es so weit: der Morgen, an dem die 226 Kilometer in Angriff genommen werden, ist da. Und der Triathlet sagt: ich geh’s ruhig an. Diesmal locker, mal sehen, was der Tag bringt. Gut, er denkt sich natürlich das Gegenteil, aber Rücksichtsvollerweise verzichtet er darauf, am Rennmorgen seinem Kollegen und Sparring-Partner der letzten Wochen ins Gesicht zu sagen: heute mach’ ich dich fertig, ich bin besser vorbereitet und du hast überhaupt keine Chance! Ja, wir sind alle richtig nett. Nur: es kann passieren, dass man gezwungen wird, seine Worte in die Tat umzusetzen. So auch am vergangenen Wochenende, am Ironman Switzerland in Zürich.

Dass ich bis in die Fingerspitzen voll Adrenalin war, braucht niemanden zu überraschen, es ist jedes Mal eine Strapaze für die Nerven, so ein Rennen. Fragen, Ängste, Zweifel kommen vor dem Start auf und man redet sich permanent ein, dass man nicht auf der Jagd nach einer neuen Bestzeit ist. Aber schon am Vortag des Rennens hatte ich das Gefühl, dass ich diesmal besser täte, mich selbst einmal ernst zu nehmen – es begann bereits am Samstag, gewaltig abzukühlen und zu regnen. Tolle Aussichten also für einen Ironman, und das zeigte sich in einem Einheitssymptom bei fast allen Teilnehmern: Angstshopping! Die Stände auf dem Expo-Gelände in Zürich feierten plötzlich Hochkonjunktur, und binnen kürzester Zeit wurde es ernstlich schwierig, auf dem Gelände noch Windstopper, Handschuhe, Schuhüberzüge und so weiter zu bekommen. Ich mischte kräftig mit, kam aber einmal mehr dank Heiner Blattmann um den Stress herum, indem ich mich in seinem Laden mit den nötigen Dingen eindeckte. So ausgerüstet und einen Nassen Tag vor mir, ging ich also am Samstag Abend ins Bett, harrend der Dinge, die da zwangsläufig kommen würden.

Ich schlief sogar fast zwei Stunden. Dann bellte der Wecker, ich aus den Federn, Ohren ans Fenster – und draussen goss es, als hätte Petrus gerade eine Lohnerhöhung bekommen.

Es regnete, als ich nach Zürich chauffiert wurde. Es regnete, als ich in der Wechselzone meinen Radplatz einrichtete (heuer sogar mit Namen versehen, ganz wie echt!). Es regnete, als ich im Strandbad Mythenquai die Toiletten suchte, es regnete, als ich meinen Neoprenanzug überstreifte und auch, als ich ins Wasser ging. Kurz: es regnete an diesem Tag nur einmal.

Aber ach, das Wasser. Ich hatte wirklich Angst vor dem Schwimmen, gebe ich gerne zu – der Fusstritt vom letzten Jahr war noch zu präsent. Also tat ich das, was alle laut verkündeten: ich ging es locker an. Also, locker – das heisst in dem Fall, ich liess den anderen Pro’s im Feld gerne den Vortritt, hielt mich am rechten Rand der Startlinie und blieb bis zum „Go!“ etwa fünf Meter hinter den anderen. Wie es dann los ging, konnte ich frei und unbehelligt losschwimmen. Und ich sage euch, das war eine Wohltat. Ich weiss, es ist nicht die Englische Art, aber wie angenehm war es doch, etwa zehn Leute und daher relativ ruhiges Wasser vor mir zu wissen – und an die 2200 andere noch hinter mir. Ich schwamm also, und als ich es geschafft hatte, ohne Schläge einzustecken über die Saffa-Insel zu kommen, da war es mir, als ginge ein Knoten auf! Erleichtert sprang ich nach dem Landgang wieder in die Fluten – natürlich landete ich volle Kanne auf dem Gesicht, Ohrfeigen mal anders – und zog davon. Ich schwamm entspannt und doch ganz schön schnell – nach 55 Minuten konnte ich in die Wechselzone einlaufen.

Erwähnte ich schon, dass es regnete? Das Wechseln ging diesmal etwas länger als sonst. Zuerst die Socken. Dann die Schuhe mit den Neopren-Überzügen. Dann die Ärmlinge, das Thermo-Gilet, die Handschuhe. Schliesslich die Sonnenbrille (Sonnenbrille! In dem Moment wusste ich, dass bei der letzten Untersuchung was übersehen wurde!) und den Helm... und los ging es. Bis dahin war das Rennen wirklich gut verlaufen, und an sich war ich wirklich motiviert, jetzt umzusetzen, was ich mir im Training erarbeitet hatte.

Es blieb beim Wunsch und kam zu „denkste“. Schon nach fünf Kilometern auf dem Rad wusste ich, dass das heute nicht wirklich mein Tag werden würde. Es war nass und kalt – zwei Dinge, die bei mir in Kombination eine ähnliche Wirkung haben wie ein Kühlschrank auf eine Klapperschlange. Als ich dann nach 60 Kilometern meine Füsse nicht mehr spürte, wurden unangenehme Erinnerungen an den Triathlon in Zug wach. Nur: dort waren es ja insgesamt nur 40 Kilometer auf dem Rad gewesen. Ich durfte mich also auf weitere 120 K’s (das ist Englisch, ich hab immerhin noch was gelernt auf der Strecke!) mit ohne Füsse freuen. Die Zeit stand still, meine Muskeln sangen langsam im Chor mit allem anderen, das schmerzte, und ich begann, mich auf die langen Anstiege zu freuen – da wäre es dann wenigstens wieder warm! Denn auf der Seestrasse kam weder Hitze noch sonst etwas auf – entweder, man ratterte über schlechte Strassen, so, dass einem die Flaschen aus den Halterungen flogen, oder man rutschte wie auf Schmierseife auf der nassen Strasse. Jitterbuck und Aquaplaning eben.

Kurz: wie lange 180 Kilometer sein können, wurde mir dieses Wochenende schmerzlich bewusst. Trotzdem gab es einige Momente, in denen ich mich nicht ganz so alleine fühlte – zum Beispiel beim zweiten Anstieg auf die Forch. Da fuhr ich mehr oder minder neben Wim, einem englischsprachigen Athleten, einher. Wir waren schon den ganzen Wettkampf immer wieder auf gleicher Höhe gewesen, aber nun, bei Schritttempo, begegneten wir uns erstmals wirklich. Wir sahen uns an, und Wim sagte nur: „What a Shitty Day!“ Da waren wir uns einig, mehr brauchte nicht gesagt zu werden – schon war alles ein wenig leichter zu ertragen. Und ich musste sofort an meinen Trainer, Olivier Bernhard, denken – eine sehr, sehr ähnliche Situation hatte er mir von einem Rennen in Hawaii geschildert. Der Gesprächspartner war damals kein geringerer als Chris MacCormack gewesen, und Olivier hatte am Ende den 17. Gesamtrang inne – dies im Hinterkopf, konnte ich mich von „total demoralisiert“ immerhin wieder zu „mal sehn, was noch geht“ aufraffen.

Der Wechsel war, was sonst – nass. Allerdings hatte der Regen etwas nachgelassen, so konnte ich ohne das etwas steife Thermo-Gilet rennen. Und: meine Schuhe waren dank exzessiver Nutzung von Plasticksäcken trocken geblieben. Ich rannte los, und im ersten Moment vergass ich die Strapazen auf der Radstrecke. Meine Beine waren super! Die Motivation kam wieder, ich gab gas... und konnte zwei Kilometer lang so laufen, wie ich es mir gewünscht hatte. Dann aber schoss mit einem Mal das Blut in meine Füsse zurück, und aus war’s – die Schmerzen, die ich darauf hin hatte, kann ich bis jetzt noch nicht beschreiben. Und mehr als 40 Kilometer lagen noch vor mir...

Was soll ich sagen? Ich hab’s geschafft! Ich brauchte für den Marathon einen Haufen Tränen und pulverisierte Zähne, aber ich kam ins Ziel, und die Euphorie hält an! Ich habe es geschafft, den Ironman zu beenden, und die Endzeit 10:21;21 passt mir auch! Ausserdem: letztes Jahr musste ich nach dem Schwimmen aussteigen. Gehirnerschütterung. Und wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass der Schwimmpart etwa 4% der Gesamtstrecke ausmacht, dann kann man rechnen: so gesehen liegt meine Erfolgsquote dieses Jahr um ganze 96% höher. Toppt das mal!

Ich möchte mich ganz herzlich bei all denen bedanken, die mich an der Strecke angefeuert und mich in diesen langen Stunden unterstützt haben – ohne euch, das ist kein Scherz, weiss ich nicht, was ich gemacht hätte!

Ich werde mich nun ordentlich erholen – und freue mich schon jetzt auf den Triathlon in Locarno, wo ich heuer ja ebenfalls eine Rechnung zu begleichen habe.

In diesem Sinne – see you later, alligator! Live das nächste Mal in Uster, am 24. August!

Herzlichst,

Fabian

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