Montag, 21. Juli 2008

Wir suchen

Nach den meisten Wettkämpfen erwischt sie viele, die sogenannte PCT, was ausgeschrieben so viel heisst wie "Post-Competitional Depression" oder einfach "Nach-Wettkampfs-Depression". Es ist herrlich, wie viele Erklärungen es hierfür gibt, eine der schönsten sei hier genannt: man verschüttet während eines Rennens dermassen viel der sagenumwobenen Endorphine, dass der Körper danach ein Defizit aufweist und man in ein Loch fällt. Je länger der Wettkampf, desto grösser das Tief. Und so weiter. Ich gebe nicht viel auf diesen Quark, das muss ich hier offen und ehrlich gestehen. Heuer hatte ich am Ironman eine Endzeit wie noch nie - 10:21 Stunden. Ich war bei meinem ersten Versuch mit 18 Jahren mehr als eine halbe Stunde schneller. Damals fiel ich ein ein rechtes Tief nach dem Rennen. Dementsprechend müsste ich dieses Jahr eigentlich noch viel deprimierter sein. Aber das ist nicht der Fall - es ist nun eine Woche her seit diesem mörderischen Rennen, und ich bin abgesehen von einer Erkältung (und wen wundert das?) ganz gut drauf. Ich freue mich sogar schon sehr auf die nächsten Rennen, vor allem auf das in Locarno. Mit diesem Wettkampf verbindet mich zwar eine Hassliebe, aber ich kann es trotzdem kaum erwarten, wieder in den Lago Maggiore zu springen.
Nein, deprimiert bin ich nicht - aber ich mache mir in den letzten Tagen sehr viele Gedanken, nicht zuletzt ausgelöst durch eine Frage, die mir kürzlich gestellt wurde: Ob ich nach dieser Strapaze beim Ironman denn "noch immer nicht genug" habe. Betonung lag auf "noch immer nicht", wohl gemerkt.
Was, bitte sehr, sollte das heissen? Wie kann man von einer Sache genug bekommen, die einen durch und durch erfüllt? Den ganzen Quatsch von wegen "Suchtverlagerung" (von was denn?) und "Endorphinjunkie" (siehe oben...) kann ich nicht mehr hören. Ich möchte vielmehr wissen, was Leute anficht, unsereins auf Biegen und Brechen analysieren zu wollen. Klassifiziert als nicht therapierbar, Stempel drauf, zu den Akten. Der nächste bitte - ach, Triathlet? Gleicher Stempel, gleiches Fach, danke sehr! ...und so weiter. Niemand, der exzessiv reitet, bekommt so ein Guthaben von Leuten, die ihre Weisheit zum grössten Teil aus Micky Maus-Heften beziehen. Aber als Triathlet? Da ist man trotz boomendem Breitensport noch immer ein wenig als verrückt abgestempelt. Nur, jetzt kommt's - gerade diese Verrücktheit macht es doch aus, Triathlet zu sein. Wir wollen das! Und wir wollen nicht geheilt werden.
Ich denke in diesem Zusammenhang gerne an die drei Jahre, die ich mich auf meinen ersten Ironman vorbereitete. Ich hatte mit 15 entschieden, mit 18 dieses Rennen zu machen. Und ab da gab es für mich nichts wichtigeres für mich, als dieses Ziel zu erreichen. Und dafür waren mir Mittel und Wege recht, die teilweise sehr ins Extreme schlugen. Beispielsweise die Affinität, jeden Morgen um halb fünf Uhr aufzustehen. Hatte ich normal Schule (ja, auch ich war mal dort), nahm ich mir genug Zeit, um zu frühstücken und den Boden zu legen für eine Trainingseinheit über Mittag. Hatte ich später Lektion, stand ich gleichwohl früh auf und ging noch laufen. Auch mitten im Januar, da konnte das Wetter machen, was es wollte.
Jetzt, einige Jahre später, habe ich Profi-Athlet das Privileg, alle meine Einheiten über den Tag hinweg verteilen zu können und somit die Möglichkeit, stets bei Tageslicht zu trainieren. Aber in den letzten Tagen habe ich mir manchmal gedacht, dass mir auch etwas abhanden gekommen ist. Wenn ich an diese Läufe am frühen Morgen denke, wie ich bei Sternenlicht und klirrender Kälte durch die Hügel und die gefrorenen Wälder rannte, ganz alleine und einzig begleitet vom Geräusch meiner Schritte - heute fehlt mir das. Ich habe viel gewonnen in den letzten paar Jahren, aber wenn ich mir heute eine Diagnose nach obigen Richtlinien stellen müsste - dann hat sich mein Temperament ziemlich beruhigt. Ich fühle mich manchmal nicht mehr wirklich verrückt, da der Sport unterdessen zur Arbeit geworden ist. Zu einer schönen Arbeit, auf die ich mich immer wieder freue - aber ab und an würde ich mich auch gerne wieder verrückt fühlen. Dieses kleine bisschen Wahnsinn empfinden, das bei mir akuter ist als bei anderen.
Wir suchen alle nach etwas, das uns glücklich macht und uns erfüllt. Als Triathleten haben viele von uns dies schon gefunden, aber diejenigen, die uns als potentielle Insassen schön gepolsterter Zellen sehen und uns dementsprechend behandeln - nun, die suchen wohl noch. Und all denen kann ich wärmstens empfehlen, sich einfach zwei Laufschuhe an die Füsse zu schnallen und für einmal zwei Stunden früher als gewohnt aufzustehen. Vielleicht verstehen sie dann, was es heisst, sich nicht nur "Sportler" zu nennen, sondern Sportler zu sein...

Für einmal pathetisch-nachdenklich, herzlichst,

Fabian

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